Kapitel 5
Klartraumforschung im Schlaflabor
5.1) Physiologische Evidenz und Charakteristika des luziden Traums

Zunächst werden die physiologischen Charakteristika des luziden Traums dargestellt (5.1 und 5.2), bevor weitere psychophysiologische Forschungsarbeiten skizziert werden, die elektrophysiologische Maße mit subjektiven Berichten korrelieren (5.3 bis 5.6). Dabei werden bestimmte Handlungen des Traum-Ichs mit physiologischen Veränderungen im Körper in Beziehung gesetzt.

Zunächst interessiert, wie der Klartraum sich physiologisch bemerkbar macht und wie er zweifelsohne nachgewiesen werden kann.Manche Traumforscher hatten vermutet, daß luzide Träume aufgrund von "Microawakenings" (kurzes Erwachen) stattfinden und kurze Episoden halluzinatorischer Wachheit darstellen, ohne jedoch Beweise dafür anzuführen. Viele Traumforscher verneinten sogar die Möglichkeit, daß es so etwas wie Klarträume überhaupt geben könne. Nun, um den luziden Traumzustand valide messen zu können, müßte der Träumer ein Signal an die Außenwelt senden können, um den exakten Zeitpunkt bestimmen zu können, wann dieser Zustand erreicht ist. Dies ist dem Träumer deswegen prinzipiell möglich, da er im Klartraum verbesserten Zugriff auf sein Gedächtnis hat, und einen dementsprechenden Auftrag erinnern kann. Doch wie kann der Träumer eine Botschaft senden, da doch der Körper während der REM-Phase weitgehend bewegungsunfähig ist? Wie die Natur will, kennt die Muskellähmung ganz offensichtlich eine Ausnahme: Die Augen sind während des REM-Schlafes uneingeschränkt beweglich. Frühere Traumstudien hatten zudem gezeigt, daß die Richtung der beobachtbaren Augenbewegungen und die Richtung, in der der Schläfer im Traum blickt, einander zuweilen genau entsprechen (ROFFWARG, DEMENT, MUZIO & FISHER ,1962).
In dieser Studie weckte ein Versuchleiter die Versuchspersonen sofort nach dem Auftreten bestimmter Augenbewegungsmuster. Danach wurde der Traumbericht mit den Augenbewegungen in Beziehung gesetzt, wenn z.B. eine Versuchspersonen berichtete, sie habe ein Tennisspiel verfolgt, so schloß man darauf, in korrekter Weise, wie sich bei Überprüfung des EOGs herausstellte, daß dies mit korrespondierender EOG-Aktivität korrelieren sollte. Bezugnehmend auf diese Befunde entwickelten die Autoren die "Scanning-Hypothese", die besagt, daß die Augen die Traumszene wie einen Film verfolgen.

Die erste Verifikation, daß Luzidität in der Tat während des Schlafes geschieht, gelang 1978 Keith HEARNE. Er instruierte seine Versuchsperson (N=1), die 45 Nächte im Schlaflabor verbrachte und dabei 8 luzide Träume hatte, den Beginn des Klartraums durch Augensignale (links-rechts-links-rechts) zu signalisieren, welche dann auf dem EOG aufgezeichnet wurden. Diese bewußten Augenbewegungen hoben sich tatsächlich deutlich von den sonst registrierten "rapid eye movements" ab - erfolgreich wurde eine bewußte und verabredete Botschaft aus der Traumwelt gesandt.

LaBERGE, NAGEL, DEMENT & ZARCONE (1981) untersuchten 7 gute luzide Träumer nach gleicher Vorgehensweise und erhielten so 50 Klarträume. 48 davon stammten aus den REM-Perioden, 2 aus dem NREM-Stadium. Bei dieser Studie wurden neben Augenbewegungen auch das "Faustmachen" im Traum als Signal verwendet, was aber nicht so gute Ergebnisse brachte, da diese Signale schwerer zu identifizieren waren (aufgrund der Schlafparalyse nur schwache Ausschläge in den "Unterarm EMGs",die zudem noch stärkeres "Rauschen" verursachten), so daß nicht alle Signale identifiziert werden konnten. Von den insgesamt 44 von den Versuchspersonen abgegebenen Signalen konnten 40 (90%) von einem Auswerter identifiziert werden, der nicht über den Zeitpunkt des Signals bescheid wußte. Den Signalen folgte durchschnittlich 1 Minute ununterbrochener REM-Schlaf (Spanne: 5-450 Sekunden).

Die physiologische Verifizierung des Klarträumens über Augensignale wurde daraufhin von weiteren Forschern teils mit größerer Personenzahl repliziert. Alle dieser Studien stimmen darüber überein, daß die produzierten Klarträume fast ausschließlich der REM-Periode entstammten. Eine weitergehende Analyse obiger Daten (LaBERGE, OWENS, NAGEL & DEMENT, 1981) ergab, daß die Klarträume auf zwei verschiedene Arten eingeleitet worden sind. In 70% der Fälle bemerkten die Versuchspersonen während des Traumes, daß sie träumten. Die Initiation der Luzidität erfolgte dabei in 25% dieser Fälle innerhalb einer bis anderthalb Minuten nach dem Übergang vom NREM-Stadium ins REM-Stadium, der normalerweise von einem vorübergehenden "Overshoot" an ZNS-Aktivität begleitet wird. In den restlichen 45% wurde der Klartraum während einer Periode von relativ starker REM-Aktivität ( phasischer REM-Abschnitt ) eingeleitet, meistens 5 bis 7 Minuten nach Beginn der REM-Phase.
ASERINSKY hatte 1971 festgestellt, daß die Dichte der Augenbewegungen von Beginn der REM-Periode an zunimmt und ihre erste Spitze etwa 5 bis 7 Minuten nach REM-Beginn zu orten ist. Deshalb folgerten LaBERGE, OWENS et al., daß die Dichte der Augenbewegungen tatsächlich mit der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines luziden Abschnittes zusammenhängen müßte und erhielten diesbezüglich einen signifikanten Zusammenhang (Korrelation). Sie schlossen weiter, daß die Induktion von luziden Träumen einen erhöhten Aktiviertheitszustand des ZNS erfordert, wie es z.B. durch phasischen REMs angezeigt wird. Als psychologische Voraussetzung sollte daneben die Bereitschaft des Individuums gegeben sein, die Luzidität erreichen zu wollen, bzw. dies zu können.

In den restlichen 30% der Fälle wurden die Klarträume von einer kurzen Phase der Wachheit innerhalb einer REM-Periode eingeleitet. Diese "Microawakenings" sind nicht unüblich für REM-Schlaf und können, müssen aber nicht notwendigerweise, die Basis für Luzidität darstellen (kurze Erregung = Arousal), wobei sich der Klartraum aber in die REM-Phase fortsetzt. Die Versuchspersonen waren sich normalerweise bewußt, daß sie kurz wach waren, bevor sie den Klartraumzustand erreichten. Bemerkenswerterweise waren nach LaBERGE, OWENS et al. einige Versuchspersonen während des Übergangs von Wachheit zum Schlaf fortwährend bei Bewußtsein, was ja nach der orthodoxen Meinung vieler Schlafforscher nicht möglich ist. Dies belegt, daß es auch prinzipiell möglich sein müßte, den Einschlafprozeß zu Beginn des Schlafzyklus bewußt zu vollziehen, wie THOLEY dies in seinen bewußtseinsbewahrenden Induktionstechniken vorschlägt. Aufgrund dieser Beobachtungen teilten LaBERGE, OWENS et al. (1981) luzide Träume in "Wake-initiated lucid dreams" (WILD) und "Dream-initiated lucid dreams" (DILD) ein, wobei DILDs häufiger vorkommen.

Zusammenfassend kann man sagen, daß Klarträume fast ausschließlich während REM-Phasen auftreten. Die Induktion von Klarträumen wird dabei von intensivierten REM-Perioden begünstigt, bei denen ein erhöhter Aktiviertheitszustand des ZNS besteht. Die entscheidende Konsequenz besteht aber in einer "Revolutionierung" der Traumforschung. Mit der Technik des Signalisierens über Augenbewegungen während des REM-Schlafs durch trainierte Versuchspersonen, ist es möglich, physiologische Vorgänge mit Traumberichten präziser zu korrelieren, als dies vorher der Fall war. Früher kaum überprüfbare Hypothesen können nun überprüft werden, indem der Forscher einen Probanden bittet, im Traum bestimmte Handlungen auszuführen. Der luzide Träumer leistet nun diesen Anweisungen Folge, wobei er Beginn und Ende seiner Handlungen genau markieren kann, während polysomniographische Aufzeichnungen erhoben werden.

Weitere Evidenz, daß luzide Träume während des REM-Schlafs auftreten, stammt von BRYLOWSKI, LaBERGE & LEVITAN (1989). Sie wiesen nach, daß die Unterdrückung des H-Reflexes (monosynaptischer Dehnungsreflex durch elektrische Reizung) als Charakteristikum des REM-Schlaf, auch in den luziden Abschnitten der REM-Phasen unterdrückt wird.

Physiologische Luziditätsankündigung

Luzide Träume sind in der Regel ein Kind des REM-Schlafs. Dieser variiert allerdings in der Ausprägung seiner physiologischen Aktiviertheit, wobei zwei Zustandsbilder besonders deutlich zu unterscheiden sind. Einerseits gibt es Phasen hoher Aktiviertheit, die sich in kurzlebigen, unregelmäßigen Ereignissen ausdrücken, wie "rapid eye movements" oder Muskelzuckungen; man nennt diesen REM-Zustand auch "phasisches REM". Andererseits gibt es den relativ ruhigen Zustand, wenn die phasischen Ereignisse verebbt sind; dieses ist das "tonische REM".

1986 hat LaBERGE und Mitarbeiter eine Studie mit 13 Versuchspersonen durchgeführt, und erhielt 76 luzide Träume. Alle stammten aus REM-Perioden, die mittels Augensignal vom Träumer als "Signal-verified lucid dreams" (SVLDs) bestätigt worden sind. Ein physiologischer Vergleich (EM= Augenbewegungen, SP=Hautwiderstand, HR=Pulsfrequenz, RR-Atmung) zwischen luziden Abschnitten und den Abschnitten innerhalb einer REM-Periode knapp vor dem Augensignal ergab einen deutlich höheren Aktiviertheitszustand während der luziden Abschnitte.


In Abbildung 4 sind die physiologischen Parameter 5 Minuten vor und nach einem Signal dargestellt. Zu beachten ist der Anstieg der Aktiviertheit 30 Sekunden vor und nach dem Signal (Zeitpunkt 0=Signal). Alle mit Stern (*) gekennzeichneten Einheiten unterscheiden sich signifikant.

Zusätzlich sind die physiologischen Daten aus 61 nicht-luziden Träumen mit denen luzider verglichen worden. Beide Traumarten stammten von denselben Versuchspersonen. Die Mittelwerte der Augenbewegungen und des Hautwiderstands waren in den luziden Abschnitten signifikant höher, Atmungs- und Herztätigkeit wiesen keine signifikanten Unterschiede auf. Es scheint also, daß Luzidität mit phasischer Aktivität korrespondiert. Verwunderlich ist dies eigentlich nicht, wenn man bedenkt, daß luzides Träumen bestimmte kognitive Leistungen erfordert (z.B. Gedächtnis), die nach LaBERGE durch einen erhöhten Aktiviertheitszustand des ZNS gewährleistet werden.

Entsprechend eigener Beobachtung, daß luzide Träume eher gegen Ende des Schlafzyklus auftreten, konnten LaBERGE bei dieser Stichprobe zeigen, daß 11 von 12 Versuchspersonen mehr Klarträume aus der zweiten Hälfte der Nacht berichteten (p<0.01). Eine Regressionsanalyse ergab, daß die relative Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines luziden Traumes eine lineare Funktion der Anzahl der REM-Perioden darstellt (p<0.001).

5.2) Luzides Träumen und die Gehirnaktivitäten im EEG
Luzides Träumen und erhöhte Alpha-Tätigkeit

OGLIVIE, HUNT, SAWICKI & McGOWAN kamen 1978 bei nur zwei Versuchsperson zu dem Schluß, daß Alpha die dominante EEG-Frequenz während des Klarträumens ist, wobei der Prozentanteil von Alpha beim Vergleich von 2 angeblich luziden mit 6 nicht luziden REM-Perioden festgestellt worden ist (die Signalisierungsmethode war noch nicht bekannt).

1982 versuchten OGLIVIE, HUNT, TYSON, LUCESCU & JENKINS diese Beobachtung in einer Follow-Up Studie zu verifizieren. Sie wählten aber einen anderen Versuchsaufbau. Anstatt trainierter Klarträumer wählten sie 10 Personen mit guter Traumerinnerung, die zumindest schon einmal einen Klartraum hatten, um die "natürliche" Erscheinungsform der Luzidität zu beobachten. Die Versuchspersonen wurden in 2 aufeinanderfolgenden Nächten pro Nacht 4 mal aus einer REM-Phase aufgeweckt, 2 mal bei hoher Alphatätigkeit, 2 mal bei geringer Alphatätigkeit. Daraufhin erzählten die Versuchspersonen ihre Traumberichte und beantworteten mehrere Fragen, um die Träume auf einer Luziditätsskala einstufen zu können, wobei die Probanden nicht wußten, aus welcher Bedingung sie aufgeweckt wurden. Die Bewertung der Traumberichte wurden von unabhängigen, für die Aufweckbedingung blinden Auswertern vollzogen. Die Traumberichte, die aus Phasen mit erhöhter Alphatätigkeit berichtet wurden, erhielten signifikant höhere Luziditätswerte auf einer Traum-Intensitätsskala. Außerdem zeigten die Daten, daß präluzide Träume im Vergleich zu normalen und luziden Träumen den höchsten Bizarrheitsgrad aufweisen.

Die Tatsache, daß LaBERGE et al. (1981) diese Alphaerhöhung während des Klarträumens nicht fanden, führten OGLIVIE et al. (1982) auf die Tatsache zurück, daß diese trainierte und hochfrequent luzide träumende Versuchspersonen wählten und nur unzweideutige Klarträume analysierten. Im Gegensatz dazu analysierten OGLIVIE et al. (1982) alle Träume auf ihren Luziditätsgrad hin, womit sie der Tatsache Rechnung tragen, das Klarträume in ihrer vom Träumer unkultivierten Form eher von Instabilität geprägt sind. Unerfahrene Klarträumer können im Gegensatz zu erfahrenen Klarträumern den luziden Zustand nicht stabilisieren, sie erwachen eher oder gleiten in den normalen Traum zurück.

OGLIVIE et al.s (1982) Stichprobe wurde demnach von präluziden Träumen dominiert, die sich durch hohes Alpha und größere Bizarrheit auszeichnen. OGLIVIE et al. (1982) erörterte weiterhin die Möglichkeit, daß aufgrund der Ab- und Zunahme in der Alpha-Aktivität während einer REM-Phase (Fluktuationen im Arousal-Level) der Bewußtheitsgrad der Schläfer schwankt und damit die Fähigkeit im Traum zu denken entweder verstärkt oder abgeschwächt wird, wobei hohes Alpha-Niveau günstig erscheint, um luzide zu werden.

In einer weiteren Studie von OGLIVIE, HUNT, KUSHNIRUK & NEWMAN(1983), wobei diesmal erfahrene luzide Träumer untersucht wurden, kristallisierten sich folgende Befunde heraus: Hohes Alpha geht einher mit hoher Bizarrheit und präluziden Träumen, während niedriges Alpha eher mit Luzidität zusammenhängt. Auch HOLZINGER (1997) konnte keine signifikanten Unterschiede bzgl. der Alphatätigkeit von luziden und nicht-luziden REM-Abschnitten feststellen, wohl aber fand sie, daß im REM-Schlaf die Alpha-Wellen der rechten Hemisphäre, vor allem parietal am höchsten sind. Tendenziell unterschied sich der luzide vom normalen REM-Schlaf bei den Versuchspersonen aber durch vermehrtes Auftreten von Alpha und verringertem Auftreten von Theta-Wellen, scheint also dem Wach-EEG ähnlicher, wobei aber der Muskeltonus im Gegensatz zum Wachzustand unterdrückt war.

Luzides Träumen und erhöhte Beta-Tätigkeit im EEG

HOLZINGER (1997) untersuchte 11 erfahrene Klarträumer, die das "Dream Light" von LaBERGE & LEVITAN (1995) trugen, indem sie diese an zwei aufeinanderfolgenden Nächten an den Polysomniographen anschloß. Die Versuchspersonen hatten ihre Klarträume durch Augensignale zu verifizieren. Um genauere Unterschiede der Hirntätigkeit in bezug auf den Ort der Messung feststellen zu können, wurden die Alpha- und Betafrequenzbänder auf vier Bereiche, bzw. auf zwei Lokalisationsdimensionen, aufgeteilt: frontal-parietal und rechts-links. Es wurden luzide mit nichtluziden Abschnitten derselben REM-Phase über die Probanden verglichen.Sowohl über alle 4 BETA-Ableitungen zusammen, als auch im Vergleich zwischen frontal-parietal ergab sich über die Gruppen "luzide vs nonluzide" ein signifikanter Unterschied in Richtung mehr Beta für Klarträumer. Das Verhältnis frontal/parietal im BETA1-BAnd betrug bei nicht luziden Fällen 1 zu 1.5, bei luziden etwa 1 zu 2.

Abbildung 5 zeigt die Aktivität im BETA1-Frequenzband für luzide und nicht-luzide Träume.Für die Alpha-Wellen wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden.

Die Beta-Frequenzen unterscheiden sich.

Nach HOLZINGER (1997) beruhen die gefundenen Effekte also auf der signifikanten Wechselwirkung des Luziditätsfaktores mit der Dimension frontal-parietal. Während im Frontalbereich die BETA1-Wellen in luziden gegenüber nicht luziden REM-Phasen leicht verringert sind, ist im Parietalbereich Luzidität mit einer wesentlich höheren BETA1 Aktivität verbunden als Nichtluzidität. Daß sich im luziden Zustand gerade im linken Parietalbereich (siehe P3-BETA1 in Abb. 5) eine erhöhte BETA1-Aktivität hat feststellen lassen, wo sich das WERNICKEsche Sprachzentrum befindet, ist nicht verwunderlich. Denn nach LaBERGE sind für die Auslösung und Aufrechterhaltung der Luzidität kognitive und sprachliche Leistungen ausschlaggebend, die im normalen Traum nicht erforderlich sind. Es bedarf dem Erkennen der Bewußtseinslage, womöglich in Form einer sprachlichen Erkenntnis: "Träume ich? - Ja, ich träume".

Zudem ordnen POSNER & PETERSEN (1990) im parietalen Bereich ein Zentrum für Aufmerksamkeit an, nämlich das posteriore Aufmerksamkeitssnetz. Dieses steht nach POSNER & PETERSEN mit dem Vorgang des Sich-Orientierens im Zusammenhang und ist beteiligt bei der Wahrnehmung von Objekten, der visuellen Suche und der Überprüfung von visuellem Input.

5.3) Luzide Körperbewegungen
Zusammenhänge zwischen geträumten und tatsächlichen Ereignissen während des Klartraums

Der psychophysiologische Ansatz der luziden Traumforschung beinhaltet, daß die subjektiven Traumberichte mit elektrophysiologischen Maßen korreliert werden. Die Übereinstimmung von objektiven Maßen mit subjektiven Berichten validiert einen hypothetischen (da nicht offen beobachtbaren) Bewußtseinszustand in gewissem Umfang. Mit dem Einsatz luzider Träumer ist diese Methode wesentlich effektiver und genauer, als wenn man normale Träumer wählen würde und darauf vertrauen muß, daß der Proband irgendwann das richtige träumt. Denn geschulte luzide Träumer können gezielt Augensignale abgeben, wenn sie zuvor vereinbarte Handlungen ausführen, und damit Anfang und Ende einer Handlung genau anzeigen. Die nun folgenden Studien untersuchen die Beziehung zwischen physiologischen Veränderungen im Körper von luziden Träumern und verschiedener Handlungen, die der Traumkörper ausführt. All die folgenden Studien wurden nur an wenigen Probanden durchgeführt, denn schließlich sind verläßliche Klarträumer eine Seltenheit.

SCHATZMAN, WORSLEY & FENWICK (1988) untersuchten den Zusammenhang zwischen luzide geträumten Handlungen und deren körperlichen Auswirkungen auf die entsprechenden Muskelgruppen. Bei dieser Einzelfallstudie diente WORSLEY, der als erster Mensch erfolgreich die Augensignalisierungsmethode unter HEARNE anwandte, als Versuchsperson. Worsley hat verschiedene vorher vereinbarte Muskelbewegungen (Finger-, Hand-, Arm- und Beinbewegungen) mit seinem Traumkörper ausgeführt, während seine physiologischen Daten am Polygraphen aufgezeichnet wurden. Als Ergebnis zeigte sich, daß die im Traum beanspruchten Muskelgruppen verschieden stark inhibiert wurden. Bei der Armbewegung beispielsweise zeigte die Axialmuskulatur keinerlei unterscheidbare EMG-Aktivität, während die EMG-Ableitung des Unterarms eine geringe Amplitude und kurze "bursts" erkennen ließ. Das Finger-EMG zeigte eine noch höhere Amplitude und noch mehr "bursts". Dies weist möglicherweise darauf hin, daß die REM-Atonie für die meisten Distalmuskel einen zentralperipheralen Gradienten bezüglich der motorischen Inhibition zeigt. Geträumte Beuge- und Streckungsbewegungen von Armen und Beinen ließen SCHATZMAN et al. (1988) zu dem Schluß kommen, daß Beugungen weniger inhibiert werden als Streckungen.

Luzides Atmen

In einem Experiment von LaBERGE & DEMENT (1982) wurde untersucht, ob und in welchem Umfang die willentliche Einflußnahme auf das Atemmuster während des luziden Träumens möglich ist. Drei Versuchspersonen, die drei Nächte im Schlaflabor verbrachten, sollten während des luziden Träumens entweder jeweils 5 Sekunden sehr schnell atmen oder den Atem anhalten, wobei diese Abschnitte durch Augensignale zu markieren waren. Einem unabhängigen Beurteiler, der nicht wußte, welche Aufgabe ausgeführt wurde, war es möglich, anhand der Aufzeichnungen auf dem Polygraphenpapier zu entscheiden, welche der beiden Aufgaben ausgeführt worden ist (p<0.002). Somit konnte gezeigt werden, daß die willentliche Kontrolle des mentalen Abbildes der Atmung (Atmung des Traumkörpers) eine entsprechende Veränderung der wirklichen Atmung nach sich zog, die ja sinnvollerweise von der allgemeinen Bewegungsunfähigkeit während des REM-Schlafes ausgenommen ist.

Ein weiteres Experiment, daß auf die Änderung der Atmung bezug nimmt, stammt von SCHATZMAN, WORSLEY & FENWICK (1988). Sie untersuchten, ob im Traum Gesprochenes genauso wie im Wachzustand mit dem Ausatmen zusammenfällt. Dazu sollte die Versuchsperson gleichzeitig den Traumarm bewegen (Malen von 1-3 Strichen auf den Boden) und bis drei zählen, um die Sprache mit der Bewegung der Hand zu synchronisieren. Dabei zeigte sich einerseits, daß das Traumsprechen tatsächlich mit der Ausatmung zusammenfällt, als auch, daß der Oberarm stärker inhibiert wird als der Unterarm, wie bereits unter Punkt 5.3 vermerkt, wobei das Unterarm-EEG die Zeitpunkte markierte, zu denen gesprochen wurde.

Luzide Augenbewegungen

Die Möglichkeit des luziden Träumers, willentliche Augensignale abzugeben, belegt die Tatsache, daß es eine direkte Verbindung zwischen Augenbewegungen im Traum und der Richtung der entsprechenden EOG-Aufzeichnung am Polygraphen gibt. LaBERGE, BRYLOWSKI & LEVITAN (1986), unveröffentlicht, zitiert nach HOLZINGER, 1997) führten zudem ein spezifischeres Experiment zur Scanning-Hypothese durch. 2 Versuchspersonen sollten ihre Fingerspitzen unter vier Versuchsbedingungen langsam von rechts nach links bewegen:

  • wach mit geöffneten Augen,
  • wach mit geschlossenen Augen in der Vorstellung visualisierend,
  • im luziden Traum und
  • im luziden Traum in der Vorstellung.

Während der beiden Imaginationsbedingungen zeigten die Versuchspersonen saccadische Augenbewegungen, in den anderen Bedingungen geschmeidige Augenbewegungen. Auch SCHATZMAN et al. (1988) konnten zeigen, daß die Blickrichtung im Traumbericht mit den Aufzeichnung des Polygraphen korreliert.

5.4) Luzides Singen und Zählen

Da bei der Ausführung kognitiver Leistungen im Wachzustand vielfach Lateralisationseffekte im Alphafrequenzband des EEG beobachtet wurden, untersuchte LaBERGE & DEMENT (1982) ob sich diese Ergebnisse auch im Zustand des luziden Träumens finden lassen. Vier Versuchspersonen nahmen in diesem Versuch zum Traumsingen und Traumzählen teil. Die Autoren stellten fest, daß die rechte Hirnhälfte während des Singens aktivierter war als die linke, während beim Zählen der umgekehrte Effekt erfolgte, was der wirklichen Durchführung der Aufgaben im Wachzustand äquivalent ist. Zur Kontrolle ließen LaBERGE & DEMENT (1982) die Probanden dieselbe Aufgabe in der Vorstellung ausführen, wobei hier keine konsistenten Veränderungen der Hirnaktivität erkennbar wurden. Dies wird von ihnen als Beleg gesehen, daß das luzide Träumen, und folglich auch das Träumen im allgemeinen, dem wirklichen Tun näherkommt als das reine Vorstellen.

5.5) Luzide Zeitschätzung

Bei diesem Typ Experiment wird der Frage nachgegangen, wie schnell wir einen Traum träumen, bzw. wie gut ein Träumer die Länge seines Traumes beurteilen kann. Denn noch immer sind die Meinungen über das Verhältnis von subjektiv im Traum verstreichender Zeit und objektiv abgelaufener Zeit geteilt. Bisher gibt es nur grobe Ergebnisse, wie etwa, daß Weckungen nach 15 Minuten REM-Schlaf längere Traumberichte zu Folge haben wie Weckungen nach 5 Minuten. Zu diesem Zweck stellte LaBERGE (1985) seinen Probanden die Aufgabe, Beginn und Ende eines 10 Sekunden-Intervalls im Klartraum durch Augensignale zu markieren. Anhand des Polygraphenbildes konnte er zeigen, das die geschätzten 10 Sek. Intervalle durchschnittlich 13 Sekunden dauerten, was der durchschnittlichen Schätzung eines 10 Sek Intervalls im Wachzustand entspricht.

Eine Replikation von HOLZINGER (1997), bei der die Probanden die Aufgabe hatten minütlich während eines luziden Traumes zu signalisieren, ist dagegen nicht geglückt. Nur tendenziell waren die Signale innerhalb des Zeitrahmens von einer Minute plusminus 10 Sekunden.

5.6) Luzide sexuelle Aktivität

1983 gingen LaBERGE, GREENLEAF & KEDZIERSKI der Frage nach, ob ein (luzid) geträumter Orgasmus sich in entsprechenden physiologischen Veränderungen niederschlagen würde. Dazu wurden 16 Aufzeichnungskanäle (u.a. EEG, EOG, EMG, Respiration, Hautwiderstand, Herzschlagrate, Vaginal-EMG und vaginale Pulsamplitude) bei einer weiblichen Versuchsperson erhoben. Die Träumerin wurde angewiesen, dreimal zu signalisieren:

  • erstens, wenn sie luzid werden würde,
  • zweitens, wenn iht Traumkörper sexuelle Aktivität aufnehmen und
  • drittens, wenn sie den Höhepunkt erleben würde.

Etwa fünf Minuten nach Beginn ihrer fünften REM-Phase hatte die Probandin einen dreiminütigen luziden Traum, in dem sie die Aufgabe pflichtgemäß absolvierte. Das graphische Protokoll zeigte, daß während Signal 2 und 3 die Respirationsrate, die Aktivität der Vaginalmuskeln und der vaginale Blutstrom ihre höchsten Werte erreichten, und signifikant erhöht bzgl. dem Mittelwert anderer REM-Abschnitte waren. Der Herzschlag beschleunigte sich allerdings nur mäßig.


Literatur Kapitel 5

Aserinsky E. (1971): Rapid eye movement density and pattern in the sleep of young adults. Psychophysiology, 8, S.361-375

Brylowsky A., LaBerge S., Levitan L. (1989): H-reflex suppression and autonomic activation during lucid REM sleep - a case study. Sleep, 12, S.374-378

Hearne K.M.T. (1978): Lucid dreams: An electrophysiological and psychological study. Unpublished doctoral dissertation, University of Liverpool

Holzinger B. (1997): Der luzide Traum; Phänomenologie und Physiologie. 2. Auflage. Wien: WUV-Universitäts-Verlag

LaBerge S., Nagel L.E., Dement W.C., Zarcone V.P. (1981): Evidence for lucid dreaming during REM sleep. Sleep Research, 10, S.148

LaBerge S., Owens J., Nagel L.E., Dement W.C. (1981): "This is a dream" - Induction of lucid dreams by verbal suggestion during REM sleep. Sleep Research,10,S 150

LaBerge S., Dement W.C. (1982): Voluntary control of respiration during REM sleep. Sleep Research, 11, S.107

LaBerge S., Dement W.C. (1982): Lateralisation of alpha activity for dreamed singing and counting during REM sleep. Psychophysiology, 19, S.454-455

LaBerge S., Greenleaf W., Kedzierski B. (1983): Physiological responses to dreamed sexual activity during lucid REM sleep. Psychophysiology, 20, S.454-455

LaBerge S. (1985): Lucid dreaming. Los Angeles. J.P.Tarcher

LaBerge S, Levitan L., Dement W.C. (1986): Lucid dreaming - Physiological correlates of consciousness during REM sleep. Journal of Mind and Behavior, 7, S.251-258

Oglivie R., Hunt H.T., Sawicki C., McGowan K. (1978): Searching for lucid dreams. Sleep Research, 7, S.165

Oglivie R., Hunt H.T., Tyson P.D., Lucescu M.L., Jenkins D.B. (1982): Lucid dreaming and alpha activity - a preliminary report. Perceptual and Motor Skills, 55, S.795-808

Oglivie R., Hunt H.T., Kushniruk A., Newman J. (1983): Lucid dreaming and the arousal continuum. Sleep Research, 12, S.182

Posner M.I., Petersen S.E. (1990): The attentionsystem of the human brain. Annual Review of Neuroscience, 13, S.25-42

Roffwarg H., Dement W., Muzio J., Fisher C. (1962): Dream Imagery - Relationship to rapid eye movements of sleep. Archives of General Psychology, 7, S.235-258

Schatzman M., Worsley A., Fenwick P. (1988): Corresondence during lucid dreams between dreamed and actual events. In Gackenbach J., LaBerge S.: Conscious mind, sleeping brain: Perspectives on lucid dreaming. New York, Plenum Press S.221-259

Tholey P. (1981): Empirische Untersuchungen über Klarträume. Gestalt Theory, 7, S.29-45

Worsley A. (1988): Personal experiences in lucid dreaming. In: Gackenbach J., LaBerge S.: Conscious Mind, sleeping brain. New York. Plenum Press , S.321-341

Kapitel 6 Seitenanfang