Kapitel 3
Kurzer historischer Abriss
3) Geschichte des luziden Traums

Wenn man schlafe, schreibt ARISTOTELES in seiner Abhandlung über Träume, gebe es manchmal etwas im Bewußtsein, das einem erkläre, was da erscheine, sei nur ein Traum. Diese Fähigkeit, die ARISTOTELES vermutlich als erster westlicher Autor ca. 340 vor Chr. schriftlich überliefert hat, besitzen Menschen vermutlich schon seit Anbeginn ihrer Existenz. Weitere Beschreibungen oder Beispiele für luzide Träume ziehen sich vereinzelt durch die Jahrhunderte, zu nennen wären etwa Thomas von AQUIN oder Ernst MACH.

Im 8. Jahrhundert nach Christus praktizierten auf dem Dach der Welt die tibetanischen Buddhisten eine Form des Yoga, die darauf angelegt war, sich im Traum ein waches Bewußtsein zu bewahren. Mit Hilfe bestimmter Techniken, wie Meditation, wollten sie die Fähigkeit erlangen, jede nur vorstellbare Erfahrung zu träumen. Ihr Ziel war es, über den Klartraum zur Erleuchtung zu gelangen (nach EVANS-WENTZ).

1867 veröffentlichte der Marquis d`Hevrey de SAINT-DENY, ein französischer Professor für chinesische Literatur, die erste seriöse Arbeit über Träume und Traumkontrolle. Er bemerkte darin eine stufenweise Entwicklung seiner Traumkontrolle; zu Anfang steht die Verbesserung der Traumerinnerung, dann das sich des Träumens im Traum Gewahrwerdens, danach das willentliche Herbeiführen des luziden Erwachens und letztlich die Beeinflussung des Traumgeschehens.

Daß auch FREUD das luzide Träumen zumindest gekannt haben mußte, ergibt sich aus einer Anmerkung aus seinem Werk "Die Traumdeutung", in der es heißt, daß es Personen gibt, "bei denen die nächtliche Festhaltung des Wissens, daß sie schlafen und träumen, ganz offenkundig wird und denen also eine bewußte Fähigkeit, das Traumleben zu lenken, eigen scheint. Ein solcher Träumer ist z.B. mit der Wendung, die ein Traum nimmt, unzufrieden, er bricht ihn, ohne aufzuwachen, ab und beginnt ihn von neuem, um ihn anders fortzusetzen, ganz wie ein populärer Schriftsteller auf Verlangen seinem Schauspiel einen glücklicheren Ausgang gibt. Oder er denkt sich ein anderes Mal im Schlafe, wenn ihn der Traum in eine sexuell erregende Situation versetzt hat: "Das will ich nicht weiter träumen, um mich in einer Pollution zu erschöpfen, sondern hebe es mir lieber für eine reale Situation auf. Der Marquis d´Hervey (...) behauptete, eine solche Macht über seine Träume gewonnen zu haben, daß er ihren Ablauf nach Belieben beschleunigen und ihnen eine ihm beliebige Richtung geben konnte. Es scheint, daß bei ihm der Wunsch zu schlafen einem anderen vorbewußten Wunsch Raum gegönnt hatte, dem seine Träume zu beobachten und sich an ihnen zu ergötzen. Mit einem solchen Wunschvorsatz ist der Schlaf ebensowohl verträglich wie mit einem Vorbehalt als Bedingung des Erwachens (Ammenschlaf)."

Frederik Willems Van EEDEN, dem wir den Begriff "luzides Träumen" verdanken, hat jahrelang ein Traumtagebuch geführt und hielt schließlich 1913, bei einer Zusammenkunft der Society for Psychical Research, einen Bericht über seine 352 gesammelten luziden Träume bei dem er konstatierte: "In these lucid dreams, the re-integration of the psychic functions is so complete that the sleeper reaches a state of perfect awareness and volition. Yet the sleep, as I am able confidently to state, is undisturbed, deep and refreshing.";

Die nächste wissenschaftliche Veröffentlichung erschien 1936 unter dem Namen "Dreams in Which the Dreamer Knows he is Asleep" im Journal of Abnormal Psychology und stammte von A.E. BROWN. Ihm ging es, neben der Darstellung des Phänomens, in erster Linie darum, der Position einiger seiner Kollegen zu widersprechen, die behaupteten, luzides Träumen sei nichts anderes als Tagträumen. Er führte auch ein wertvolles Entscheidungskriterium ein, um den Traumzustand zu überprüfen (Realitätsprüfung im Traum)): nämlich in die Luft zu springen und die Wahrnehmung der Schwerkraft testen. Zwei Jahre später publizierte Harald von MOERS-MESSMER den Artikel "Träume mit der gleichzeitigen Erkenntnis des Traumzustandes", in dem er von 22 luziden Träumen berichtete, die er selbst hatte. 1948 veröffentlichte der Psychiater Nathan RAPPORT einen Artikel mit dem Titel "Pleasant Dreams", welcher sich ebenfalls um den Klartraum dreht. Er kommt dabei zu dem Schluß, daß sich das Wesen des Traums am besten bei jenen seltenen Gelegenheiten erkunden läßt, in denen man sich bewußt ist, daß man träumt.

Die Veröffentlichung der Parapsychologin Celia GREEN "Lucid Dreams" (1968) in England, sowie, fast zeitgleich, in den USA der Wiederabdruck von Van EEDENs Aufsatz im Sammelband "Altered States of Consciousness", herausgegeben von Charles TART (1969), machten das Phänomen einer größeren Leserschaft bekannt. Die Tatsache, daß GREEN Parapsychologin war, war einer der Gründe, warum die konventionelle Wissenschaft den luziden Traum mit Skepsis betrachtete und nicht als richtigen Traum. Viele Traumforscher sahen den Klartraum eher als halluzinatorische Wachphase, und so wurde dessen Erforschung vernachlässigt. Der luzide Traum geriet zudem ungerechtfertigter Weise in die Nähe zu Geistern und Telepathie.

Weitere Leser erfuhren 1972 durch die Veröffentlichung "Reise nach Ixtlan" von Carlos CASTANEDA zum ersten Mal etwas über das luzide Träumen. In diesem Buch lehrt der mexikanische Schamane Don Juan den Protagonisten des Berichts, luzide zu träumen. Um das Bewußtsein zu wecken, rät der Schamane, solle er im Traum auf seine Hände schauen (weil sie immer dort sein werden). Außerdem beschreibt Don Juan das traumtypische Ereignis der Blickfixation, welches meint, daß, wenn man ein Objekt mehrere Sekunden lang im Traum mit den Augen fixiert, dieses zu verschwimmen beginnt und bei weiterer Fokussierung zum Szeneriewechsel oder zum Erwachen führt."Wenn die Hände beginnen, ihre Form zu verändern, so muß du deinen Blick von ihnen abwenden und etwas anderes auswählen und dann wiederum auf deine Hände schauen".

1974 brachte Patricia GARFIELD ihr Buch "Creativ dreaming" heraus. Sie betrachtet den Traum als Mittel zur Freilegung kreativer Potentiale, wobei sie auch auf den luziden Traum eingeht, der in besonderer Weise z.B. zum Problemlösen im Traum geeignet sei. Von nun an erschienen in verschiedenen Fachzeitschriften häufiger Artikel, die auf das luzide Träumen bezug nahmen.

Die erste psychophysiologische Untersuchung wurde 1978 von der kanadischen Forschungsgruppe OGLIVIE, HUNT, SAWICKI & McGOWAN (siehe 5.1.3) veröffentlicht. Der Wert der Studie leidet allerdings darunter, daß ihre Ergebnisse auf nur drei angeblich luziden Träumen, geträumt von nur zwei Probanden, beruhen.

Die luzide Traumforschung gewann nun weiter an Schwung, weitere Arbeiten folgten, allen voran LaBERGE wobei der Forschungshöhepunkt in den 80ger Jahren anzusiedeln ist. In Kapitel 5 werden einige Studien vorgestellt.


Literatur:

Aquin T. von (1947): Summa theologica (Vol. 1). New York. Benzinger Brothers

Aristoteles (1991): Über Träume, Über die Weissagung im Schlaf. Übersetzt von van der Eijk P.H. Leiden, Rijksoniv

Castaneda C. (1981): Reise nach Ixlan. 8. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag

Evans-Wents W.Y. (1935): Tibetian yoga and secret doctrines. London. Oxford University Press

Freud S. (1968): Die Traumdeutung. Gesammelte Werke Band II/III. 4. Auflage. Frankfurt am Main. Fischer

Garfield P. (1974): Creativ dreaming. New York. Simon & Schuster

LaBerge S. (1985): Lucid dreaming. Los Angeles. J.P.Tarcher

Green C. (1968): Lucid dreams. Oxford. Institute for phsychophysical Research

Mach E. (1922): Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. 9. Auflage. Jena. Gustav Fischer

Moers-Messmer H. von (1938): Träume mit der gleizeitigen Erkenntnis des Traumzustandes. Archive für Psychologie, 102, S.291-318

Oglivie R., Hunt H.T., Sawicki C., McGowan K. (1978): Searching for lucid dreams. Sleep Research, 7, S.165

Rapport N. (1948): Pleasant dreams! Psychiatric Quaterly, 22, S. 309-317

Saint-Deny H. (1982): Dreams and how to guide them. London. Duckworth

Tart C.T. (1969): Altered States of Consciousness. New York. Wiley & Sons

Van Eeden W.F. (1913): A study of dreams. Proceedings of the Society for Psychical Research, 26, S.431-461

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